Nachdem einige von uns bereits am 14 April die 200er Strecke erfolgreich bewältigt hatten (siehe auch Bericht vom April, der auch eine Erklärung zu den Brevets im Allgemeinen enthält), juckte es gewaltig, sich auch an den 300er zu wagen. Falk, Dennis, Fabian, Andreas, Daniel und ich haben schließlich dem Juckreiz nachgegeben und uns angemeldet.
Ein „Wagnis“, da weder der Streckenverlauf, noch die zu erwartenden Höhenmeter bis dato bekannt waren. Hinzu kommt noch, dass niemand von uns bisher auch nur annähernd 300 km am Stück mit dem Rad gefahren war, daher war es dann auch ein wenig der Ritt ins Unbekannte. Die Augen wurden umso größer, als uns elf Tage vor dem Start am Abend die Nachricht erreichte „Wir fahren auf den Brocken“! 302 Kilometer mit 3000 Höhenmetern waren nun die Herausforderung.
Start war am 5. Mail um 8:30Uhr in Warberg am Elm. Wir hatten Traumwetter, 20°C zeigte der Wetterforecast, den ganzen Tag Sonne pur und 0% Regenwahrscheinlichkeit. Gestartet wurde in zwei Gruppen zu ca. 27 Fahrern. Wir rollten zunächst in beschwingtem Tempo in Richtung Wernigerode.
Geheime Kontrollen dürfen auf keinem Brevet fehlen, und unsere erreichten wir bereits bei Kilometer 40. Anschließend verlief die Strecke über Wernigerode gefühlt stetig Berg auf, was aber aufgrund der noch frischen Temperaturen gar nicht so unangenehm war.
Einige Kilometer vor dem Anstieg zum Brocken legten wir dann präventiv unsere Arm- und Beinlinge ab und stärkten uns erst nochmal mit dem von Daniel gespendeten leckeren Reiskuchen (Daniel, wärst du kein Innenarchitekt, als Bäcker hättest Du auch dein Geld verdienen können ?).
Richtung „Brocken“ wurde es dann mit Steilstücken mit bis zu 14% auch immer anstrengender. Durch die zahlreichen Wanderer (der Brocken ist halt ein Publikumsmagnet) und den Pferdekutschen war aber eh nur wenig mehr als Schritttempo möglich, und so musste der Anstieg zum Brocken betont ruhig gefahren werden. Nach 80 Kilometern und vier Stunden hatten wir uns dann in 1142 Metern Höhe unseren zweiten Stempel auf dem Brocken redlich verdient.
Die Abfahrt war beschwerlich, zahlreiche Wanderer und Touristen füllten den Weg, extrem konzentriertes Fahren war angesagt. Zusätzlich war es jetzt auch noch fürchterlich kalt, und wir froren auf der Abfahrt, das die Zähne klapperten. Jetzt kam es uns sehr gelegen, dass Falk schon mehrfach eine Coffein-Pause einforderte.
Unser Kaffeestopp erfolgte nun bei einem Bäcker in Schierke, wo wir vorzüglichen Kaffee und Kuchen serviert bekamen, der uns sodann die verlorene Wärme und Energie zurückbrachte. Nahezu das erstes Drittel war geschafft, konnten wir nun sagen, aber auch: „Da kommt noch was!“ So schwang sich wohl jeder vorerst mit seinen eigenen Gedanken wieder auf den Sattel zurück… und pedalierte gemächlich weiter.
Mit neuem Elan ging es nun weiter über Braunlage und Bad Lauterberg nach Herzberg, zum dritten Kontrollpunkt. Eine schöne Strecke, bei der besonders das Teilstück am Oderstausee einfach ein Traum ist.
Weitere Höhenmeter kamen hinzu, aber dieser Abschnitt viel uns leicht, wahrscheinlich weil der Rückenwind überwiegte, und die Sonne unsere Herzen erwärmte. Wie sich jedoch bald zeigte, der Wind ist mal „Freund“, mal „Feind“.
Rund 135 Kilometer waren in Herzberg geschafft, der dritte Stempel eingefahren, und so konnte es nach einer kurzen Pause und dem Auffüllen der Flaschen, über Osterode und Seesen nach Baddeckenstedt zum vierten Kontrollpunkt weitergehen.
Zwischendurch wurde gewitzelt, geraunt, geschmunzelt, gelacht und auch mal geflucht… „Wie weit ist es denn noch? Verdammter Wind! Die Sonne brennt! Wer grillt denn da schon wieder?“ Radfahrer sind wohl nie zufrieden.
An Höhenmetern hatten wir nun das Meiste hinter uns, und wir dachten, es wird leichter, aber nun wurde aus dem Freund „Wind“ der Feind. Danke an Dennis, Falk und Andreas, die immer wieder gern vorn waren.
Der Weg durch Osterode war ein wenig „tricky“, wurde aber Dank Daniel mit seinen Navigierkünsten ohne Routenabweichung gemanaged. Nun auf dem Weg nach Seesen hatte Falk noch ein „Highlight“ für uns parat und führte uns zu einer Frischwasserquelle, von derer Wasserqualität wir uns sodann auch überzeugten haben.
Nach der kurzen Abkühlung ging es weiter Richtung Baddeckenstedt, und damit zu unserem vierten Kontrollpunkt, den wir nach 190 Kilometern um zirka 18 Uhr erreichten.
Erste Erschöpfungserscheinungen machten sich bemerkbar, und der Körper verlangte nach dem vielen süßen Energieträgern nun nach etwas Salzigem. Da jedoch schon mindestens 30 Brevetler vor uns diesen Kontrollpunkt passiert hatten, war der Tresen bereits nahezu leergekauft. Lediglich ein Salami/Käse-Brötchen und eine Laugenbrezel waren noch übrig, notgedrungen musste auf Brötchen mit Bockwurst und süßen Teilchen ausgewichen werden.
Der fünfte und letzte Kontrollpunkt schien nun zum Greifen nahe. Dieser sollte in zirka 60 Kilometern Entfernung in Leiferde bei Gifhorn sein. Auf einem Drittel des Weges würden wir noch Vechelde passieren und dort dann fast direkt an dem Haus von Andreas vorbeifahren. Ein Zwischenstopp war zwar anfänglich geplant, wurde dann aber aufgrund der fortschreitenden Zeit verworfen. Ehrlicherweise hatten wir auch befürchtet, Andreas dann nicht mehr von Zuhause weg zu bekommen.
Da nach der etwas längeren Pause in Baddeckenstedt absehbar war, Leiferde nicht mehr rechtzeitig vor 21 Uhr zu erreichen, und es danach dann schwieriger werden würde, an Verpflegung zu kommen, entschieden wir uns für einen Zwischenstopp gegen 20 Uhr bei Rewe in Wendeburg. Dort wurden nochmals die Flaschen gefüllt und Bananen und Cola verzerrt.
Die Sonne verabschiedete sich, präpariert für die Abendfahrt, ging es weiter. Noch 80 Kilometer bis zum Ziel in Warberg.
Der weitere Weg führte uns durch befestigte Wirtschaftswege mit teils kapitalen Schlaglöchern. Hier war nur Einer-Reihe fahren möglich, und wir waren froh, dass es noch nicht komplett dunkel war.
Begleitet von einem wunderschönen Sonnenuntergang, erreichten wir Leiferde gegen 21 Uhr. Nun wurde es Zeit, die Beleuchtung zu aktivieren und in den Endspurt zu gehen. Andreas frotzelte mal wieder, dass wir unseren 25er-Schnitt verloren hätten, und nun Gas geben müssten. Andreas prickt halt gern…
Mit der Dunkelheit kam auch die Kälte zurück, was insbesondere in Gewässernähe deutlich wurde. Im Stockdunkeln zu fahren ist auch mal eine Erfahrung und auch gar nicht so schlecht, gute Beleuchtung natürlich vorausgesetzt.
Bei Dunkelheit bedarf es jedoch besonderer Vorsicht, was uns kurz darauf auf dem Wirtschaftsweg nach Essenrode deutlich wurde, als ein Sprung Rehe unseren Weg kreuzte, und wir diesen erst kurz vorher im Scheinwerferlicht sahen. Jetzt lieber Krach machen und so etwaige Wildschweine umleiten, war unser nächster Gedanke.
Hinter Essenrode mussten wir auf einem Wirtschaftsweg tatsächlich nochmals innehalten. Hörten wir richtig??? Da war ein Geräusch, das wir alle bisher nur aus dem Fernsehen kannten. Wolfsgeheul. Wir konnten es zunächst nicht glauben, aber es schien echt zu sein und so unwahrscheinlich mittlerweile ja auch nicht mehr. Nein, Angst machte es niemanden von uns, im Gegenteil: So konnten wir uns selbst im Dunkeln noch an der Natur erfreuen.
Der Rest des Weges zerrte nochmal an den letzten Kräften. Richtung Warberg waren zum Schluss noch ein paar kleinere Anstiege zu bewältigen, die Müdigkeit setzte auch langsam ein. Nach gut 12,5 Stunden reiner Fahrzeit erreichten wir gegen Mitternacht Warberg und waren alle froh und glücklich im Ziel zu sein. Im Ziel angekommen, nahmen uns Hartmut und seine Frau in Empfang und verpflegten uns in ihrem Wohnzimmer.
Besonders toll, jeder half dem anderen, wo es nötig war, egal, ob Kabelbinder, Klebeband, Essen, Trinken, Powerbank oder Windschatten, jeder bekam was er brauchte. Und das auch ohne Worte.
Danke an all meine Mitfahrer und dem Orga-Team der Ostfalen-Randonneure für diesen schönen Tag. Danke auch für einen traumhaften Sonnenuntergang, die tolle Abendstimmung und sternenklare Nacht, die dem Brevet noch die Krone aufsetzte!
Wer sich mit dem Gedanken trägt, einmal einen Brevet zu fahren, sollte dies bei den Ostfalen in Betracht ziehen. Die perfekte Vorbereitung und die persönliche Betreuung im Ziel ist durch nichts zu ersetzen!
Der nächste Brevet in Warberg geht über 400 Kilometer und startet am 2. Juni um 8:30Uhr.
Hartmut verriet schon mal, dass die Höhenmeter auf dieser Strecke dann zumindest gleichmäßiger verteilt sein werden. Falk ist bereits angemeldet, und Dennis erwägt zumindest eine Anmeldung. Weitere Mitstreiter sind natürlich immer willkommen.
Text: Anja Schade
Fotos: Anja Schade, Daniel Karger und Falk Weikert